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Fernmeldung.0001 / Hamburg

Fernmeldung.0001 /          Hamburg
Das Bild des Tages erblickte dieses Mal am Museumshafen Oevelgönne das Licht der Welt. Tanker, Kräne und viel Wasser ist der heimische Franke eben nicht gewohnt, und so kann die Kulisse ihn schon einmal auch etwas länger in den Bann ziehen. Getrost kann ich es mittlerweile fast zu meinen Hobbys zählen, bei vorbeiziehenden Container-Schiffen in eine kindliche Begeisterungs-Schockstarre zu verfallen. Gar nicht so einfach, wenn man eben mal an der Elbe entlang in die Stadt radelt. Große Schiffe hat man hier nämlich viele. Zum Glück greift der Hamburger vor allem bei gutem Wetter auch gerne auf die städtischen Fähren zurück, die einen das Ufer entlang bis zu den Landungsbrücken verfrachten. Bequeme Tanker-Starre und Fortbewegung in einem also. Und das übrigens zum ÖPNV-Preis, Einzelfahrt 3,20 oder eben Tages- oder Monatskarte. Goodguy Hamburg. Was gibt es sonst noch? Ach ja, gutes Wetter. So in keinster Form erwartet überrascht das derzeitige Hoch über der Hansestadt wohl auch die erfahrensten Nordmänner. Kann sich aber ganz schnell ändern bekomme, ich oft gesagt. Hat es sich aber nicht, dreimal auf Holz geklopft. Es löppt eben einfach, wie der Plattdeutsch-Linguist sagen würde. Es kam also einiges zusammen an dem Tag am Hafen Oevelgönne. Zurückgelöppt bin ich übrigens nicht, mein Fahrrad war mit an Bord. Das darf in der Hansestadt in Fähren und Bahnen komplett kostenlos mitgenommen werden wenn nicht gerade Rushhour ist. Aus der war ich aber schon lang raus.

/ Nahversorgung.

Schon komisch, wenn man heimatliche Dinge erst weit weg von zuhause kennen lernt. Wie konnte einem das entgehen, fragt sich dann ein jeder, inklusive derer um einen herum. So mir geschehen mit der bayerischen Urmutter aller Spezis, gebraut vom Hause Paulaner. Man sollte wohl eher sagen gemischt, aber aufgrund der hohen Kunst, ein derartiges Getränk herzustellen, wirkt der Begriff 'Mischen' etwas abwertend. Dem weißblauen Herrgott sei Dank, dass es das Getränk mit dem Gute-Laune-Etikett selbst bis in die Hanse geschafft hat, um auch den wohl letzten Südländer geschmacklich abzuholen. Dass die Paulaner Spezi allerdings in den lokalen Supermärkten sehr oft ausverkauft ist, lässt entweder auf viele Bayern schließen (unwahrscheinlicher), oder es wurde damit die erste bayerische Sache entdeckt, der Hamburger tatsächlich etwas abgewinnen können (wahrscheinlicher). Ungeklärt bleibt, warum in den Supermärkten oft dort Lücken klaffen, wo die Flaschenvariante der Spezi steht, während die Dosenform palettenweise verfügbar ist. Es könnte am großen Umweltbewusstsein der Konsumentinnen und Konsumenten liegen (unwahrscheinlich aber wünschenswert), oder an den ausgeschütteten Glückshormonen, die das Gewohnheitstier Mensch mit dem Öffnen eines Bierkäpsels verbindet (so einen hat die Flaschenvariante nämlich). In Anbetracht dieser Erklärung wäre die Existenz vieler Bayern dann doch um einiges wahrscheinlicher. Hamburg hat übrigens auch seine eigene Spezi, die ist auch gut, heißt Mischmasch und kommt von den Machern der Fritz-Kola. Die hat aber eben keinen Käpsel, sondern nur Drehverschluss. Aber dafür gibts die nicht in Dosen.

/ Export.

In China nimmt das Sozialkredit-System immer mehr Formen an. Was das ist? Eine Extremstform der staatlichen Überwachung - sagen die einen. Ein motivierendes Belohnungssystem, das Menschen besser macht - sagen die anderen. Am besten den Begriff einmal googlen, da wird das besser erklärt als ich es je könnte. Aber es geht darum, Menschen durch digitales Datensammeln in gut und schlecht einteilen zu können, respektive in A, B, C und D. A ist gut, D ist böse. A kriegt Kredite und muss beim Ausleihen kein Pfand hinterlegen, weil er ja gut ist, D kriegt keine Kredite und darf auch keine Führungspositionen besetzen. Er ist ja auch böse. In diesen festgelegten Kategorien landen die Menschen überhaupt durch ihr tägliches Verhalten, das ihnen ebendiese Sozialkredit-Punkte einbringt. Oder eben nicht. Fairerweise darf jeder Mensch mit 1000 Punkten starten, was Stufe A bedeutet. Soziale Arbeit, Spenden, Gesetzestreue wirken sich beispielsweise positiv auf das Konto aus, Gesetzesbrüche, nicht bezahlte Rechnungen und politische Aktivitäten in den falschen Kreisen bewirken das Gegenteil. Das geht runter bis in die Kommentarspalten der sozialen Medien und der Ampelüberquerung bei rot. Bis 2020 soll das System dann landesweit angewendet werden, bis jetzt sind es einige Städte. Die einen, die das nicht gut finden, sprechen vom größten Vorhaben staatlicher Kontrolle, deren Eingriffe in die Freiheitsrechte Seinesgleichen sucht. Die anderen - und das finde ich mindestens bewunderswert - sehen den Mehrwert für das Kollektiv. Ob die Meinung der anderen über den Tausch von besseren Menschen gegen eingeschränkte Freiheitsrechte auch bei Ausweitung des Systems bestehen bleibt, bleibt abzuwarten. Die Antwort erhalten wir spätestens 2020. 

/ Momentaufnahmen.

Der Ghanaer, der mich vergünstigt auf seinem halbausgefüllten Gruppenticket mit von Hamburg nach Lübeck genommen hat, wäre beim chinesischen Sozialkredit wohl zumindest beim Thema Beachtung der Verkehrsregeln nicht sehr weit gekommen. Nach der Fahrt überquert er die Fußgängerampel vor den verwunderten Augen der übrigen wartenden Passanten und des herannahenden Autos bei rot. Die Gesten und das Hupen des Fahrers - der ja grün hat - quittiert er mit einer lässig beschwichtigenden Handbewegung. Als ich den Autofahrer anblicke, zucke ich nur mit den Schultern, muss lachen, und laufe hinterher. Lachen muss er auch, wohl weil er jetzt er merkt, dass er im Unrecht ist. Die Selbstverständlichkeit, mit der hier rote Ampeln und herannahende PKWs ignoriert werden, steht ganz eindeutig über den Verkehrsgesetzen.
Fernmeldung.0001 / Hamburg
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Aufzeichnung 0001. Up in the North.

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