Robin Lindner's profile

DOLDI. SIMBL. DEBB.

Doldi. Simbl. Debb.
Pöbeln am Spielfeldrand nach fränkischer Mundart. Ein Ratgeber.


Deutschland ist raus.
Mittlerweile hat man das Erlebnis scheinbar verarbeitet. Sie reden wieder mit Ihrem Nachbarn in ihrem heimatlichen Dorfkontext über die Zweitligaergebnisse vom Samstag oder mit Ihrer Nachbarin über das Apfelkuchenrezept der Großmutter. Und eben nicht mehr über die Nationalmannschaft. (Bitte keinesfalls als Affront hinsichtlich der Rollenverteilung Frau – Mann auffassen, gerne können Sie auch mit Nachbar Herbert Kuchenrezepte austauschen und mit Tante Irmgard darüber quatschen, wie Jonas Meffert die Pille am Wochenende ins Eck gezwirbelt hat). Wahnsinnig spannende Themen erhalten nach der aus deutscher Sicht weniger erfreulich verlaufenen WM endlich wieder Einzug in die angestammten Kreise der Bevölkerung. Während der Weltmeisterschaften verzeichnet der hiesige Bund der ausgewiesenen Fußballexperten regelmäßig schier unendlich steigende Mitgliederzahlen auch in Bevölkerungsgruppen, die sonst mit dem Sport eher weniger anfangen können. Das Bild ist alle zwei, beziehungsweise vier Jahre dasselbe, die Alteingesessenen fühlen sich auf den Schlips getreten, weil auf einmal die 15-jährige Teenagerin mit falschrum aufgemalter Deutschlandflagge auf den Wangen wissen will, was denn der Videobeweis ist. Die gute Nachricht für alle aus der angestammten Expertenecke: Die plötzliche Fußballbegeisterung erwies sich nach dem frühen Aus als kurzes Intermezzo. Sie haben die Manege wieder ganz für sich. Nach einer schier unendlich dauernden Leere seit dem Spiel gegen Südkorea schlittern wir wieder hinein in die Spielzeiten in Deutschland, England, Spanien, Italien und wo sonst noch so gegen das Leder getreten wird. Damit wird auch endlich wieder das regelmäßige Pöbeln am eckigen Grün zur gesellschaftlich akzeptierten Normalität, in unterklassigen Spielbereichen gar zur Pflicht des gewissenhaften Unterstützers an der Seitenlinie. Unfehlbares Fachwissen und raue Sprüche greifen allerorts wieder um sich. England 7. Liga, Deutschland 2. Liga, Russland 5. Liga, egal wo man hinschaut, man stellt fest: Gepöbelt wird überall.
Fast scheint es, als besitzt das Pöbeln ab einer nicht genau festlegbaren Zeitgrenze (ich würde sie spontan auf den Renteneintritt / Anfang 70 legen) den Charakter eines waschechten Hobbies und somit einer als sinnvoll erachteten Freizeitbeschäftigung. Man muss allerdings festhalten, dass das Pöbeln umso authentischer wirkt, je ausgeprägter der Dialekt des Pöbelnden / der Pöbelnden ist. Als Geheimtipp werfe ich an dieser Stelle elegant den fränkischen Akzent von der Seitenlinie aufs Feld. Nicht umsonst gilt Franken in Kennerkreisen vor allem in Bezug auf die hiesigen Fußballteams als Pöbelmekka des deutschsprachigen Raums. Es könnte daran liegen, dass die linguistische Prägung der stolzen Nicht-Bayern insgesamt sehr weich daherkommt und somit auch mit zweieinhalb Promille souverän gemeistert werden kann. Auch das Vokabular scheint perfekt auf das trendige Hobby abgestimmt zu sein, viele oft verwendete Pöbel-Begriffe sind kurz und prägnant und gehen leicht von der Zunge:

Doldi. Simbl. Debb.

Fortgeschrittene können sich durchaus auch an die mehrsilbigen fränkischen Bekundungen wagen:

Ooschluch. Dreggsagg.

Begriffe, die Sie mit einer Wahrscheinlichkeit im dreistelligen Prozentbereich auf jedem regionalen fränkischen Graupenkick zu hören bekommen. Vor allem wenn es nickelig wird. Was Sie allerdings als angehender Pöbler auf keinen Fall mitbringen dürfen, ist tatsächlicher Fußballsachverstand. Alternativ sollten Sie ihn, falls vorhanden, bestmöglich verbergen. Glauben Sie mir, als ausgewiesener Fußballsachverständiger wird Ihre vokabulare Grundlage beim Pöbeln schneller zusammengekürzt als Sie denken, Stichwort Authentizität. Würden Sie es einem Jupp Heynkes oder einem Ottmar Hitzfeld abkaufen, wenn der denn beim ersten Foul eines unverwarnten gegnerischen Spielers „DER HAT SCHO GELB!“ brüllt? Wahrscheinlich nicht. Machen Sie diesen Fehler also nicht. Verbergen Sie ihr eventuell  vorhandenes Fachwissen. Sie bringen sich sonst um die Anwendung der Herzstücke des Pöbelns: Die fachmännischen Floskeln.
Jederzeit anwendbar und umgeben von einer stilsicheren Zeitlosigkeit verlieren einige Phrasen nie an Aktualität und bewegen sich scheinbar permanent am Puls der Kreisgruppenzeit:

„Den hams doch im Käfig hergfahrn!“
Hinweis an den Unparteiischen, die aggressive Spielweise eines besonders hitzigen gegnerischen Spielers doch bitte zu ahnden. Fällt vor allem in unterklassigen Dorf-Derbys auf äußerst nährhaften Boden, wo von den 22 Beteiligten gefühlt 16 im Käfig herangekarrt wurden. Die Hütte brennt, das Publikum freuts, den Schiri eher weniger.

„Der hat doch Schaum vorm Mund!“
Eine würdige Alternative zum Käfigspruch mit gleicher Botschaft. Kann in besonders nickeligen Partie (wie oben beschrieben)  für frischen Verbal-Wind im Geplärr am Spielfeldrand sorgen, fliegt der Spruch doch bisweilen eher unter dem Radar.

„Der Fünfer hebts auf!“ / „Der Fünfer steht drin!“
Der Klassiker des betagten Rentners an der Seitenlinie, der beim Morgenkaffe schon die Milch neben die Tasse gießt. Ist als freundlich gemeinter Hinweis an den Schiedsrichter zu werten, dass die vorangegangene Spielsituation kein Abseits war. Meist steht gar kein Fünfer auf dem Platz.

„Da liegt Schnee drauf!“
Erfreut sich bei besonders hohen, bisweilen verunglückten Bällen (in niedrigeren Spielklassen ist der Unterschied nicht immer ganz eindeutig) großer Beliebtheit. Kann variabel bei Schüssen, Flanken und Freistößen eingesetzt werden.

„Schiri, mir braugn an Spaatn!“
Vor Sarkasmus triefender Hohn-Ausruf, der sich auf das theatralische Verhalten eines gefoulten Spielers bezieht. Die Härte des Fouls spielt dabei zumeist keine große Rolle, könnte theoretisch also auch beim Schien-und-Wadenbein-Bruch Anwendung fallen, wenn aus Sicht des über die Verletzung völlig uninformierten Fans die Schauspielerei maßlos übertrieben wird. Quasi der große Bruder des allseits bekannten Hinweises auf eine Abseitsstellung, die vom Fan dank des guten Auges quer übers Spielfeld aus 150 Metern Entfernung erkannt wird und meistens selbstredend keine war.

„Nur der Ball!“
Als oft auch von den Spielern verwendeter Klassiker findet der Ausruf meist dann Anwendung, wenn alles außer dem Ball gespielt wurde. Zur Unterstreichung wird oft noch aus sehr kurzer Distanz penetrant auf das Spielgerät gezeigt, das seine Rollrichtung durch den Luftstoß der Grätsche um einen Grad verändert hat.

Das gute am Wortschatz der Pöblerschaft: Im Gegensatz zur allgemeinen Lebenshaltung ist man diesbezüglich offen für Neues. Gehen Sie raus, trauen Sie sich. Stellen Sie sich 5 Seidler in den Schrank und lassen Sie sich von der Stimmung im Bundesliga-Stadion oder am A-Klassen-Sandplatz tragen. Und wenn Sie die Grundlagen beherrschen: Improvisieren Sie ruhig mal. Vergessen Sie dabei nicht, die gegnerischen Spieler und das Schiedsrichtergespann in Bezug auf Ihre Fähigkeiten zu schmähen. Behalten Sie aber stets im Hinterkopf, Pöbeln ist ein verbaler Sport auf Grundlage von Fußballthemen. Handgreiflichkeiten und Rassismus braucht niemand. Und die haben, egal wo, egal wie hoch- oder tiefklassig, auf dem Sportplatz nichts verloren.
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Pöbeln am Spielfeldrand nach fränkischer Mundart. Ein Ratgeber.

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