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Fernmeldung.0005 / Florenz

Fernmeldung.0005 / Florenz


Touristenmassen rollen über Florenz. In all ihren Facetten drängen sie in jeden noch so kleinen Winkel der Stadt und schießen Fotos von allem, was irgendwie italienisches Flair besitzt. Dass das Flair genau dadurch kein Flair mehr ist, begreifen sie nicht. Der Flair ist ja nichts rein Visuelles, sondern ein Zusammenwirken verschiedener  auditiver, olfaktorischer, gustatorischer, taktiler und visueller Wahrnehmungen. Hab ich auch nachschlagen müssen, kannte ich nicht alle. Ein Selfie-Wettschießen, eine Geschichtsstunde für Touristen durch ein Mikrofon, eine Bimmelbahn, eine völlige Überdosis an Florence-Rücksäcken, Florence-Tüten, Florence-Hüten und nicht zu vergessen I-Love-Florence-Shirts und ein zusammengefalteter, in die Luft gereckter Regenschirm, dem eine I-Love-Florence-Shirts-tragende Menschenherde mit Florence-Hüten und Florence-Rucksäcken hinterhertrottet und hier und da stoppt um von anderen lebenden Florence-Werbeflächen Fotos zu schießen, ist zu viel des Guten.
Bitch don’t kill my flair.

Sage ich und streife als Tourist durch Florenz. Zwar halte ich in textiler Hinsicht nicht die Flagge für die Renaissancestadt hoch, aber zum Flair trage ich wahrscheinlich nicht unbedingt etwas bei. Stillhalten und nichts verändern ist da noch die beste Methode.
Beim Fotoschießen mach ich dann aber dann auch mit und halte, zwar deutlich weniger als die I-Love-Florence-Fraktion, aber doch noch an der ein oder anderen Stelle die Kamera drauf. Aber wofür macht man das alles? Soziale Medien? Gerade zermarter ich mir als Konsequenz meiner geschossenen Bilder das Hirn darüber, welches davon ich von Florenz poste, weil ich da eben bin oder war. Bloß wissen das noch nicht alle. Klar, die engen Freunde sind eingeweiht, auch die Familie weiß Bescheid. Aber was ist mit den anonymen Massen aus dem Internet? Da denken alle noch, ich sei in Bologna, aus Bologna stammt mein letztes Bild. Könnte man sich ja eigentlich denken, denk ich mir. Wer nach Bologna fährt, fährt doch auch nach Florenz. Aber was, wenn nicht?
Fast fühl ich mich, als sei ich nie dort gewesen. Ich habe zwar ein paar schöne Fotos geschossen, allerdings mit der Kamera, aber die liegen a) zuhause auf der Festplatte und b) sind die eigentlich für den Blog gedacht. Ich darf vorstellen: die Probleme unserer Zeit. Wie konnte ich nur diese Festplatte vergessen?
Seit Bologna und Florenz hab ich meinen Bachelor endgültig abgeschlossen, war mit meinem Vater in der Hersbrucker Schweiz wandern und hab mit meiner Freundin in Hamburg Äpfel gepflückt. Drei schöne Momente, es gibt Fotos davon. Sollten auf Instagram. Wäre da doch nur nicht dieses Foto aus Florenz! Chronologie durcheinanderbringen? Geht nicht. Wat? Der Junge ist nach Bologna, hat dann den Abschluss gemacht, war daheim wandern, Erntearbeit im Norden und ist dann wieder runter nach Florenz? Das checkt doch keiner. Die Leiden des jungen Social-Media-Wärters.

Seit Bologna und Florenz habe ich auch tonnenweise schöne Zeit mit meiner Familie und meinen Freunden verbracht, auch wenn nicht immer ein Fotoapparat zugegen war, mit dem der Moment in digital vielfacher Ausführung viermal statt einmal festgehalten werden konnte. Die Zeit war trotzdem schön, wirklich! Nur gesehen hats keiner, außer denen die dabei waren natürlich. Die denken bestimmt alle, ich hätte gar keinen Spaß. Ist Spaß nur, wenn möglichst viele wissen, dass ich Spaß habe? Insgesamt möchte man das nämlich! Alle neidisch machen, das will man, dann fühlt man sich gut.

Sagte ich und schrieb einen Artikel über meine Reise an den Schuh Europas. Ganz lassen kann man es nämlich nie. Was man niemandem erzählt, zeigt, aufdrängt, beweist, hat scheinbar nicht stattgefunden. Kopfüber stürzen wir uns in eine Rennen um Anerkennung anderer, aus dem wir so große Mengen unseres Selbstbewusstseins, ja sogar unseres Seins ziehen. Unsere digitalen Identitäten sind mittlerweile so eng mit unseren wahren Identitäten verknüpft, sie gehen fließend ineinander über. Du bist, was du auf Instagram zeigst. Du bist was du auf Facebook teilst. Im Internet können wir die Menschen sein, die wir in der Realität nicht zusammenbekommen. Es ist ein Einfaches, Schwächen zu kaschieren, unseren Körper von einer vorteilhaften Seite zu fotografieren. Wir geben das preis, was wir wollen, lassen das weg, was wir wollen. Ein Vorzeige-Alter-Ego unserer Selbst, wie wir uns gerne sähen, wie wir gerne wären.

Es ist abstrus.

Ein Bild wird gelöscht, auf dem wir einen seltsamen Gesichtsausdruck haben, auf dem unser Bauchansatz dick aussieht, auf dem der rechte Fuß komisch einknickt.

Das diese Makel auf einem Bild festgehalten werden, ist aber doch kein Zufall!

Was, wenn ich dir sage, dass du eben manchmal seltsam schaust?
Was, wenn ich dir sage, dass dein Bauchansatz nunmal ab und zu sehen ist?
Was, wenn ich dir sage, dass du mit deinem rechten Fuß beim Laufen öfters etwas einknickst?

Das bist du. In der Realität kann sich nicht verstellen wie im Internet, man ist wenigstens noch bis zu einem gewissen Grad man selbst.

Ich frage mich, ob all die Touristen in Florenz sind, um in Florenz zu sein, oder ob sie in Florenz sind, um ihren Freunden zeigen zu können, dass sie in Florenz sind.
Die Szenen, die ich am Piazzale Michelangelo zu sehen bekomme, lassen eher Zweiteres vermuten. Die Treppe, das Geländer, der Platz, generell alles dort quillt über von Menschen die um die besten Plätze kämpfen, um einen Blick auf die Sonnenuntergangskulisse zu werfen, wie Hühner sitzen sie auf der Stange und bringen sich selbst um jede entspannte Sonnenuntergangsatmosphäre, die eigentlich an einem solchen Ort sonst binnen Sekunden von Sonne und Himmel geleitet entstünde. Sich einen schönen Sonnenuntergang auch an einem mit Menschen vollgestopften Platz anzusehen ist allerdings nun wirklich nicht verwerflich. Es ist vielmehr die Masse an Fotos die geschossen wird. Sekündlich werden Handys gezückt, mehrmals abgedrückt, sekündlich werden Handys weggesteckt nur um sie 30 Sekunden später wieder herauszuholen, weil die jetzige Wolkenzusammenstellung ja doch ganz eventuell etwas schöner sein könnte, als die 30 Sekunden zuvor. Es gibt auch Menschen, die sich dem Moment hingeben, die gemächliche Veränderung der Wolken und die Farbwechsel mit bloßem Auge wahrnehmen, genießen und statt auf der Speicherkarte in ihren Erinnerungen abspeichern. Aber sie sind an diesem Ort seltene Exemplare. Vielleicht ist auch einfach nur ihr Akku alle oder ihre Chipkarte voll. Beides ändert nichts an der Vorherrschaft der Serienknipser und Social-Media-Fotografen, die Beweismaterial und Existenzbestätigungen  in zwanzigfacher Ausführung um die Wette schießen. Es wäre spannend zu wissen, wie viele Fotografien an diesem Abend am Piazzale Michelangelo entstanden sind, und vor allem wie viele pro Kopf.
Zum Glück scharen sich alle nur um den höchsten Punkt der Anhöhe, geht man nur hundert Meter abwärts, findet man auf einer kleinen Mauer eine ebenso beeindruckenden Ausblick auf den Duomo, der sich in den letzten Sonnenstrahlen streckt. Hier sitze nur ein paar Menschen zusammen mit uns, wohl weil der einige Büsche im Sichtbereich den 180-Grad-Panoramablick beeinträchtigen. Hinter uns die Touristenscharen, die nach wie vor geflissentlich am Fotoweltrekord pro Sekunde arbeiten, vor uns das abendliche Florenz, geschmückt mit 2 Bechern und einer Flasche Wein im Vordergrund. Nur Fotos gibt es davon leider keine. Aber ist es dann auch wirklich so passiert?




















































































Dazu das Wort vom Montag, heute von einem offensichtlich weisen Mann namens Aubrey Drake Graham, sofern er denn seine Texte selbst schreibt.

I know a girl whose one goal was to visit Rome
Then she finally got to Rome
And all she did was post pictures for people at home
'Cause all that mattered was impressin everybody she's known
...
I know a girl that saves pictures from a place she's flown
To post later and make it look like she still on the go


Fernmeldung.0005 / Florenz
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