Robin Lindner's profile

Fernmeldung.0009 / Hamburg


Liebe/r _______________ (zum Ausdrucken und Selbstausfüllen)


Wer großer Fan meines hiesigen und äußerst regelmäßigen Hauptstadt-Blogs war, muss sich nun leider seine Lieblingskuscheldecke und eine große Schachtel Ben & Jerry's holen (am besten er nimmt den Salatlöffel gleich mit). In einer langen und intensiven, aber auch schönen Zeit steckte ich Tag und Nacht mein Herz und meine Seele in die Berichterstattung aus der Hauptstadt Deutschlands. Ich durchwanderte tiefste Täler und höchste Gipfel der Gefühle und rieb mich innerlich auf für den Erfolg. Nun wird der doch beachtlichen Auflagenzahl (1) keine weitere Ausgabe folgen.

Stattdessen berichte ich absolut zuverlässig und so regelmäßig wie die aufgehende Sonne wieder von der alten Fernmeldestelle Hamburg. Grund: Nachdem ich blogweise erst über das ständige Umziehen geschwärmt und dann darüber genörgelt habe, konnte ich nun endlich in meinem Hamburger Herzenshafen fest den Anker werfen. Mein besonderer Dank gilt an dieser Stelle dem Online-Semester, ohne das dieser Schritt niemals möglich gewesen wäre. Neuerdings steht auf meinem Mietvertrag also mal kein Ablaufdatum, aber das war ja in Berlin auch schon so. Es bleibt also weiterhin spannend im Leben des Volker B. (Name von der Redaktion geändert).

Was gibts Neues?

Gute Frage, gab ja lange nichts. Ob das überhaupt wen interessiert, ist die andere Frage. Nach zweieinhalb Jahren habe ich immer noch nur eine vage Vorstellung davon, wer die Fernmeldung eigentlich regelmäßig liest. Neben einem kleinen Kreis aus dem engeren Umfeld kenne ich von den 50-100 regelmäßigen Leser genauer zwei. Mich selbst, quasi als Tagebuchblätterer, der in Erinnerungen schwelgt, sich in frühere Geisteszustände hineinversetzt und verdächtig viel Blödsinn und Rechtschreibfehler findet. Und meinen Opa, dem die Einträge mehr zu bedeuten scheinen, als mir selbst und für den ich den Blog auch dann schreiben würde, wenn er der einzige Leser wäre. Der Rest aber ist mir gänzlich unbekannt. Eine Horde Bots, die Aufmerksamkeit generieren? Wildfremde Menschen aus dem Spessart? Meine absoluten Erzfeinde, von denen ich nicht weiß, dass ich sie habe? Ich weiß leider nicht, ob es tatsächlich hilfreich wäre, die Leserschaft überhaupt zu kennen. Schon jetzt fällt es mir zum Teil schwer, mich auf die ursprüngliche Idee der Sache zu besinnen, die Raum für Alles bieten sollte und damit auch manchmal echten Blödsinn und Quark enthalten darf. Eben konzeptlos. Nicht selten stolpere ich über Formulierungen, Sprache und Inhalt. Zu obszön? Liest das der Arbeitgeber? Ist das überhaupt gut? Dinge über die ich mir eigentlich keine Gedanken machen wollte, es aber doch bisweilen tue und vielleicht noch mehr täte, kannte ich die Lesenden besser. Weil es mich aber so neugierig macht, starte ich den Aufruf dennoch.
Solltest du die Fernmeldung regelmäßig lesen und findest, das ist kein Geheimnis, lass mich das gerne wissen. Solltest du lieber anonym bleiben wollen, weil du gerade in einer Trollfarm sitzt oder aber das Ganze hier so scheiße findest, dass du es nur als Lästerstoff brauchst, ist das auch völlig in Ordnung.

Neue Ausnahmezustände.

Ab jetzt wird also wieder aus Hamburg gemeldet. Dass aus den regelmäßigen Kurzberichten aus Berlin wirklich etwas wird, hat aber ja auch niemand ernsthaft erwartet, oder? Mit meiner Ausrede, dass sich mal wieder einiges in meinem Leben geändert hat, bin ich aber ausnahmsweise mal nicht allein. Ein Virus sorgt für totalen Ausnahmezustand, die Echsenmenschen weilen wieder unter uns und der Klimaschutz ist bei vielen wieder aus dem persönlichen Fokus gerückt. Über allem stehen die verhängnisvollen Fragen: Was kommt danach? Und lernt der Mensch daraus? Und was mache ich?

Ich tue das, was man in einer Pandemie eben so macht: Esse ein bisschen zu viel, trinke mehr als ein bisschen zu viel, hab mich vom auswertigen Amt nach Hause fliegen lassen, hab bei zwei verschiedenen Großeltern gelebt, bin umgezogen, hab mir eine Waschmaschine gekauft, wohne auf einmal in einer eigenen Wohnung, sitze wegen einem vollen Online-Semester den größten Teil des Tages vor einem Monitor und wirtschafte mich mit kleinen Schritten und einem Studienkredit durchs Leben.

So richtig ist also gar nichts mehr wie es war. Das Menschen-Ausweichen ist zur Routine geworden. Selbstverständlich greife ich zum Mund-Nasen-Schutz, wenn ich die Wohnung verlasse. Manchmal schrecke ich in Filmen auf, wenn sich Menschen darin gefährlich nahe kommen. Vorausgesetzt natürlich, ich schenke der Wissenschaft den entsprechenden Glauben und nicht etwa dem Lynchmob, der Gates an die Gurgel will.

Das Super-Trouper-Fun-Race der Finanzakkumulation.

Dabei hat der arme Bill ohnehin ein durchwachsenes Jahr. Glaubt man den Zahlen des Bloomberg Billionaires Index, hatte der Gute durch COVID-19 im Frühling bereits etwa 4  Milliarden Dollar verloren während ich mir munter die Waschmaschinen ausgesucht habe. Die gute Nachricht: Es geht wieder aufwärts. Auf der Bloomberg-Seite schimmert jetzt wieder eine grüne 9 mit einem Plus davor, die verrät, wie viel für Billy seit Jahresbeginn dazukam. Den Spitzenplatz in der Liste der reichsten Säugetiere hat er durch die finanzielle Schiefplage peinlicherweise nicht ergattern können. Die Konkurrenz wirds sicher freuen, längst mischen Shinyhead Bezos und Vollblut-Heiland Musk kräftig mit um den Platz an der Sonne. Deren Bilanzen seit Jahresbeginn: Bezos +69, Musk +73 (Milliarden). Ich habe gerade nicht mal 5 Euro im Geldbeutel.

Ich könnte auf diese Summen gar nicht neidisch sein. Sie entsteigen schlichtweg meiner Vorstellungskraft. Und doch sind es jene unvorstellbaren Summen, die uns gerade durch die Pandemie führen und ein wirtschaftliches Desaster abfedern. Gepumpt und aus dem Nichts erschaffen. Gebaut auf das Fundament, dass das System bitte nicht kollabiere und wir alle bitte nicht den Glauben an die erfundenen Zahlen und die Zahlungsfähigkeit verlieren. Auch wenn ich davon keine Ahnung habe, macht mir das Szenario Angst. Und es zeigt, was gehen kann, wenn die Menschen wollen. Was mir wiederum Angst macht, da es zeigt, dass viele der Machthabenden es unter anderen Bedingungen nicht wollten oder wollen.

Die Pandemie zeigt die Anpassungsfähigkeit der Menschen und beweist, wie sich komplexen Problemlagen in der Gemeinschaft erfolgreich gestellt werden kann, wenn wir denn wollen. Und das macht Hoffnung.

Die Pandemie zeigt aber auch, dass uns erst die Kacke um die Ohren fliegen muss, ehe wir die Ärmel krempeln und ordentlich ranklotzen. Zeigt die bösesten Ausgeburten des Egoismus. Zeigt die klaffende Ungleichheit auf diesem Planeten.

Am Ende zeigt sie aber vor allem: wir sind alle nur Menschen.

Menschen, die etwa die Bekämpfung des Klimawandels hinten anstellen, da sie derzeit mit direkteren Bedrohungen zu kämpfen haben.
Umweltschutz ist gerade nicht jedermensch Sache. Es gibt Wichtigeres, völlig verständlicherweise. Wie hoch steht Umweltschutz in der Maslowschen Bedürfnispyramide? 

Ob es nach der Krise auf der Welt besser oder schlechter zugehen wird, weiß ich nicht. 
Wir Menschen sind aber scheinbar auch schnell anpassungsfähig (wenn man uns dazu ernsthaft auffordert und dafür stabile Argumente aufbringt). Zwar nicht im größten aller Rahmen (zumindest in meinem Kontaktkreis wurden etwa die Einkaufszettel während der bisherigen Hochphase der Pandemie weder kürzer noch weniger detailliert), dafür blitzen Solidarität, Rücksicht, Zusammenhalt, Freundlichkeit an Orten auf, an denen sie früher zu den selteneren Gästen gehörten.

Aber bevor ich zu tief in das Thema abrutsche, das den meisten von uns schon zu den Ohren rausquillt, lieber ein irrelevanteres Thema.

Eine Hummel ohne Flügel.

Nachdem ich jetzt wieder in Schlagdistanz zu Nord- und Ostsee lebe, geben die Ausflugsziele auch wieder Strände und Steilküsten her. So richtig dicht dran am Meer ist das gute Hamburg aber gar nicht. Nur weil dicke Container-Klopper wie auf dem Titelbild in Reih und Glied in den Hafen einlaufen, heißt das dann leider nicht, dass auch das offene Meer um die Ecke ist. Mal eben mit dem Rad ans Meer stratzen ist eher was für Ambitionierte. Wie es der Zufall oder die Großzügigkeit meiner Schwester will, hat Elena zum Geburtstag ein altes Klappi geschenkt bekommen. Das gute Stück ist noch um einiges älter als mein DDR-Modell, schmückt sich mit einem authentischen Sticker der Olympiade München 72' und erweitert den Fahrrad-Fuhrpark um ein sechstes Gefährt. Der Fahrradständer vorm Haus wird mittlerweile fast von uns alleine belegt und erste Pläne für einen Fahrradverleih wurden angestoßen. Gescheitert sind sie vor allem an der Verkehrssicherheit der Räder. Das Klappi der Olympiade München schafft es mit fehlender Bremse (aber mit Rücktritt!), allzu dollen Rostspuren, einem geklebten Pedal und allerlei klappernden Teilen trotz der enorm starken Konkurrenz auf das Siegerpodest der Fahrunsicherheit. Wie könnte einen diese liebenswürdige Schrottlaube nicht glücklich machen?

Unter dem Namen Hummel erweitert der orange Klapper seitdem nicht nur den Fuhrpark, sondern vor allem die Ausflugsmöglichkeiten, etwa ans Meer. Das Problem: wer mit Eisenbahn an die Ostsee fährt, findet dort weit und breit nur Strandpromenade, an der betucht-betagte Touristen in weißen Hosen, Camp-David-Hemd und ärmellosen Daunenjacken ihr Unwesen treiben. Natur ist dort eher Mangelware. Die Lösung: man nimmt zwei alte Klappräder mit, setzt auf den Priwall über und radelt einfach den Strand runter, weg von Weißhose und Daunenweste.

Gleichzeitig führt man ganz nebenbei die wichtigste aller Bahn-Regeln ad absurdum: Geklappte Fahrräder gelten als Gepäckstück. Das Olympia-Klappi klappt allerdings nicht, sondern lässt sich in 2 Teile zerlegen. Wer schon mal gesehen hat, wie die orangene Rostlaube dann wie ein Haufen Schrott im Zug liegt, wahrscheinlich mehr Platz wegnimmt, als ein übliches Fahrrad, aber trotzdem als Gepäckstück zählt, kann das Gefährt nur lieben. Vor allem, wenn es einen durch Sand und Schotterpisten trotzdem zuverlässig an die Picknick-Stelle bringt und auf dem Heimweg durch die Dunkelheit tatsächlich funktionierende Lichter offenbart.

Bei der zweiten Fahrt ist dann leider der Lenker gebrochen. Ich hab aber schon wieder einen neuen auf Kleinanzeigen geschnappt, den ich jetzt mal ranschrauben werde.



Macht es jut und bleibt vernünftig!
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